Im SommerTheater Winterthur ist der Vorhang gefallen

Das traditionsreiche SommerTheater Winterthur hat seine Theaterarbeit eingestellt.

Direktor Hans Heinrich Rüegg und Schauspielerin Verena Leimbacher-Rüegg treten nach über 50 Jahren von der SommerTheater-Bühne im Stadtgarten ab. Eine Nachfolge haben die beiden seit einigen Jahren gesucht und auch aufgebaut. Der designierte Nachfolger, der im Sommer 2024 die Leitung des SommerTheaters hätte übernehmen sollen, hat sich aus persönlichen Gründen unerwartet zurückgezogen.

Hans Heinrich Rüegg und seine Frau haben sich deshalb schweren Herzens entschieden, den Mietvertrag und den Subventionsvertrag bei der Stadt Winterthur zu kündigen und das Unternehmen aufzulösen.

Die Kulturabteilung und Liegenschaften-Abteilung der Stadt Winterthur werden entscheiden, was in der heutigen Zeit die richtige Lösung für diesen Ort sein könnte.

Das SommerTheater Winterthur wurde 1865 gegründet und war als Boulevardtheater mit eigenem Ensemble weit über die Stadt hinaus bekannt und sehr beliebt.

Winterthur. Unter dem Apfelbaum.

„Wenn das hiesige Publikum wissen will, unter welchem? So besuche es unser SommerTheater (Tivoli) beim Kasino, und wenn es nicht findet, dass das ein Stück Poesie sei, so hübsch man’s irgendwo in der Welt haben kann, so wollen wir in Sack und Asche Busse tun.
So war’s wenigstens am Mittwoch Abend.
Das Lustspiel „Der glückliche Familienvater“ ist eins der besten Bühnenstücke des bekannten und gewandten Theaterschriftstellers Görner, voller Leben, Witz und Humor. Die Gesellschaft, Direktor Kolbe in der Titelrolle voran, hat sich so wacker präsentiert, dass wir frischweg behaupten, es sei seit Jahr und Tag in Winterthur nicht so gespielt worden. Alle Mitwirkenden verdienen dies Lob und in Herrn Kolbe voraus finden wir einen talentvollen, eleganten Schauspieler. Für die nochmalige Produktion von Seite der beiden Musiker unsern Dank; der Applaus hat bewiesen, wie man dies Spiel würdigte.
Dazu kommt nun der bewusste Apfelbaum, unter dessen Laubdach ein ganzes Theaterpublikum familiär beisammen sitzt und sich’s wohlfein lässt. Man führe einen Fremden Abends in diesen Theater-Garten, und er wird unbedingt sein Urteil dahin abgeben, dass Kunst, Natur und Amüsement hier in seltener Harmonie um den Apfelbaum vereinigt sind. “
Der Landbote. Winterthur, Freitag 16. Juni 1865, S620f

Direktor Kolbe spielte mit seiner Truppe eine Reihe von Lustspielen und Possen, offenbar zu damaliger Zeit das Neueste, scheute sich aber auch nicht vor Schillers „Räubern“. Er legte den Grundstein für das SommerTheater Winterthur und noch immer gehört die Verbindung von „Kunst, Natur und Amüsement“ zum Attraktivsten dieser Bühne. Obwohl sich diese Wandertruppe in Winterthur grosser Beliebtheit erfreute, und die Stückwahl offenbar genau dem Zeitgeist entsprach, kehrte sie im Folgejahr nicht zurück. Inzwischen wurde der Strauss-Garten, wenn auch nicht für Theateraufführungen, so doch für Sommerkonzerte genutzt.

1881 gründete der Direktor Carl Heuberger „Heuberger‘s Volkstheater“, das in den kühlen Wintermonaten im Saal des „Café Strauss“ und im Sommer in dessen Garten unter den Kastanienbäumen spielte.


Ab dato war dort eine Vorstadtbühne eingerichtet, die ihre Zuschauer im Guckkastenambiente mit Volksrührstücken und Bauernschwänken unterhielt. Carl Heuberger zeichnete sich für die Spielzeiten 1881 und 1883 verantwortlich, 1882 wurde im SommerTheater nicht gespielt.

Sein Nachfolger war Theaterdirektor D. Schrutz im Jahre 1884. Dessen Direktionszeit dauerte allerdings nur eine Saison, darauf folgten fünf theaterlose Jahre im Strauss-Garten. Wieder folgten Sommerkonzerte.

1890 nahm sich Direktor Möller des SommerTheaters an. Sein Ensemble stellte er sich aus 16 Mitgliedern der Stadttheater Basel, Bern und St. Gallen zusammen. Nebst Lustspielen setzte er zeitgenössische ernste Stücke auf den sommerlichen Spielplan. Seit 1890 wurde bis zum heutigen Jahr ohne Unterbruch jede -Saison im Strauss-Garten gespielt. Direktor Möller verliess Winterthur bald, da er zum Direktor des heutigen Schauspielhauses Zürich gewählt wurde, war aber mit seiner Programmatik wegweisend für seinen Nachfolger Eugen Schmitt-Hesselbach.

Während 35 Jahren leitete Eugen Schmitt-Hesselbach, der als „Papa Schmitt“ in die Winterthurer Lokalgeschichte eingegangen ist, zusammen mit seiner Ehefrau das SommerTheater Winterthur. Von 1893–1928 zeigte die Bühne Komödien, Singspiele und Operetten neben ernsthaften Stücken von Nestroy, Ibsen, Hauptmann und Schnitzler. Lieblingsautor des Direktors war der zeitgenössische ostpreussische Dichter Hermann Sudermann (1857–1928). Das Direktorenpaar war nicht nur selber Schauspieler, sondern auch sein eigener Regisseur, Dramaturg, Inspizient, Souffleur, Garderobier, Bühnenmaler, Kulissenschieber, Kassier, Sekretär und vor dem elektrischen Zeitalter sogar sein eigener Rampenlampenputzer.

Der bis dahin in Luzern tätige Charakterdarsteller Theo Schmidt wurde in der Spielzeit 1926 von Eugen Schmitt-Hesselbach ans SommerTheater engagiert. Der gestandene Theaterdirektor führte den Schauspieler langsam in die Verwaltung des privaten Theaterunternehmens ein. Im Sommer 1928 starb Eugen Schmitt-Hesselbach 78jährig.
Theo Schmidt übernahm 1929 die Direktion und blieb in Winterthur. Auch er war, wie sein Vorgänger und Nachfolger, kaufmännischer und künstlerischer Leiter, Reklamechef, Regisseur, Inspizient und Hauptdarsteller in einer Person. Die Programmgestaltung unter der neuen Leitung nahm einen Schwenker hin zur ganz leichten Muse. Ernsthafte Konkurrenz erwuchs dem SommerTheater-Direktor durch die Wiener Operettenbühne Krasensky, welche Veltheims „Platten-Garten“ (seit 1947 ist das Kino „Rex“ in der „Platte“ stationiert) in ein SommerTheater umgewandelt hatte. 1933 starb Direktor Schmidt unerwartet mit 46 Jahren.

1933 kam Markus Breitner als Schauspieler und Hilfsregisseur (die damalige Bezeichnung für Regie-Assistent) ans SommerTheater.

Kurioserweise eröffnete 1934 die Witwe Gisa Krasensky, einstige Konkurrentin, als neue Direktorin das SommerTheater. Während nun die Truppe Krasensky auf der SommerTheater-Bühne spielte, liess sich Mano Bergmann, die Witwe Theo Schmidts, mit eigenem Ensemble in Veltheims „Platten-Garten“ nieder.

1935 übernahm Markus Breitner das Zepter über das SommerTheater Winterthur. Die folgenden 46 Jahre seiner Direktionszeit sind gezeichnet mit grundlegenden Neuerungen, welche vor allem der künstlerischen Entwicklung des Theaters dienten. Die Förderung der schweizerischen Theaterkultur und einheimischer Schauspieler war sein erklärtes Ziel.

Die Anerkennung des SommerTheaters zeigte die Stadt Winterthur, indem sie dem Theater 1952 erstmals eine Defizitgarantie zusprach. 1964 wurde erstmals eine Subvention von CHF 16 000 gesprochen und eine kleine Defizitgarantie.

Markus Breitner liess sich nun mehr Zeit für die Stücke. Während in seiner ersten Spielzeit 27 Stücke Premiere hatten und alternierend gespielt wurden, waren es im Jahre 1964 noch 11. Es war dem Direktor im Laufe der Jahre gelungen, die einzelnen Stücke länger zu spielen und weniger Inszenierungen anzusetzen und dabei die Zuschauerzahlen von 8 500 auf 15 343 im Stichjahr 1964 nahezu zu verdoppeln. Von den elf Premieren ging der Theaterdirektor bald auf acht runter, und Hans Heinrich Rüegg ging von anfangs sieben Premieren zu fünf über. Nur so können die stets wachsenden künstlerischen Ansprüche des Publikums erfüllt werden.

Im letzten Jahrzehnt von Markus Breitners Direktion und ab 1975 mit seinem Stellvertreter Rüegg, fanden viele Schweizerische Erstaufführungen durch die Pflege neuer Boulevardkomödien statt. Jörg Schneider, Paul Bühlmann, Franz Matter, Richard Pürkhauer, Jochen Speer, Ursula Schaeppi, P. W. Staub, Voli Geiler, Peter Oehme, Schaggi Streuli u.a. brachten damals den Strauss-Garten zum Lachen. 1981 wurde -Markus Breitners fünfzigjähriges Wirken am SommerTheater Winterthur gefeiert. Bei diesem Anlass übergab er seinem Stellvertreter Hans Heinrich Rüegg die Direktion. 1988 starb Markus -Breitner im Alter von 87 Jahren.

Tanja Nievergelt
Hans Heinrich Rüegg ist in Kaltbrunn geboren und aufgewachsen. Schauspielschule „Studio B“ in Zürich, Regie-Assistent und Schauspieler bei Kinder-Musicals am Opernhaus Zürich. Es folgten Schauspielengagements am Stadttheater Chur, am SommerTheater Winterthur, am Schwäbischen Landesschauspiel, am Städtebundtheater Biel/Solothurn sowie am Theater für Vorarlberg. Gastverträge in Stadttheater Bern und Theater Basel sowie am Opernhaus Zürich. Von 1974 – 77 Mitarbeiter der Direktion am SommerTheater, von 1978 – 81 stellvertretender Direktor und ab 1982 Direktor des SommerTheaters. Von 1992 – 2000 amtete er auch als
Direktor des Stadttheaters Chur, 1995 /96 zusätzlich Interims-Direktor am Städtebundtheater Biel /Solothurn und war somit für alle drei Theater gleichzeitig verantwortlich für die künstlerische sowie die kaufmännische Leitung. 1996 wurde ihm der Kulturpreis der Stadt Winterthur verliehen. Unvergessen sind seine komödiantischen Eskapaden z.B. als Karak in „Ein Bett voller Gäste“ oder als Giesecke „Im Weissen Rössl“ und den Schauspieler Eugen in „Pension Schöller“ am SommerTheater. Engagements: Komödie an der Kö, Düsseldorf; Contra-Kreistheater, Bonn; Theater am Dom, Köln, usw. Fernsehen SRF in den „Benissimo“-Sketches.

Verena Leimbacher schloss ihr Schauspielstudium mit Auszeichnung ab. Es folgten viele Stationen an Schweizer Theatern, u.a. Stadttheater Chur, Städtebund Theater Biel-Solothurn, Atelier Theater in Bern sowie Theater Bregenz und Komödie Düsseldorf und natürlich SommerTheater Winterthur. Gleichzeitig war sie auch mit Erfolg in der Schweiz, Österreich und Deutschland bei Film, Fernsehen und Rundfunk tätig. Neben den eher klassischen oder zeitgenössischen Rollen, z.B. das Gretchen im „Faust“,

der Nora in „Nora von Ibsen“, der Arkadina in Tschechows „Möwe“, dem Frl. Dr. von Zahnd in Dürrenmatts „Physikern“ spielte sie auch im musikalischen Theater, z.B. die Yente in „Anatevka“ und „I do I do“. Komödien und Boulevardeskes, wie „Cyprienne“, „Staatsaffären“, „Hier sind Sie richtig“, „Vier Fenster zum Garten“, „Finden Sie dass Constance sich richtig verhält“,„Die Kaktusblüte“, „Bezaubernde Julia“ und „Auf ein Neues“ fehlen nicht in ihrer Schauspiel-Karriere.

Es ist Herbst, Ende der SommerTheater-Saison 2014, Hans Heinrich Rüegg sitzt in seinem Büro. Hier kommen alle Fäden des Betriebs zusammen, von hier aus geht jede Bewegung aus, in den Strauss-Garten ist es nur ein Schritt. An den Wänden die Fotos aus der Vergangenheit des Theaters, auf dem Tisch die Bilanz der aktuellen Spielzeit. Es ist wieder einmal ein Sommer gewesen, den Hans Heinrich Rüegg erst zum richtigen Sommer gemacht hat: mit „Gaslicht“, „Eine unerwartete Freude“, „Hexenschuss“, „Ein Traum von Hochzeit“, „Toutou“. Was einst mit „Der gerade Weg ist der Beste„, dem Lustspiel in einem Akt von August Friedrich Kotzebue, 1865 begonnen hat, geht hier seinen Weg einfach weiter, von Sommer zu Sommer. Man lebt hier das Prinzip Boulevard.
 
Hans Heinrich Rüegg ist ein Theaterdirektor, wie es wenige dieser Art heute noch gibt, ein Prinzipal unter den Komödianten. Aber eigentlich hat er von grösseren Städten geträumt. Und bei der ersten Begegnung mit dem SommerTheater dachte er auch: Was will ich in Winterthur?
 
Das war 1971, Hans Heinrich Rüegg war in Zürich an der Schauspielschule Studio B. Dort arbeitete ein Lehrer, der war am SommerTheater engagiert. Dieser Günter Rainer sagte: „Schau doch mal in Winterthur vorbei, das wäre vielleicht etwas für den Einstieg.“ Rüegg ging hin, auf dem Programm stand „Floh im Ohr“, die Komödie von Georges Feydeau. Das Wetter an diesem Abend war schlecht, die Vorstellung fand im Saal statt – es gab dort damals noch keine Podeste, und hinten standen grosse Tische. „Aha, so ist das also“, dachte sich Rüegg. Beim Eingang standen viele Menschen, ein Herr kam auf ihn zu und fragte: „Was machen Sie da, möchten Sie ins Theater?“ „Ich möchte eigentlich zu Direktor Breitner“, sagte Rüegg. „Ja, ja, das bin ich“, und weiter sagte er: „Aber heute regnets. Warum haben Sie keine Stiefel mitgebracht?“ Rüegg wunderte sich ein bisschen über den Mann, fragte aber doch, wie er sich bewerben könne. „Machen Sie was Sie wollen, jetzt ist Ende Saison, aber schreiben Sie mir“, sagte Breitner. Das war die erste Begegnung mit Markus Breitner. „Ich fand ihn ein bisschen kurrlig“, sagt Rüegg, „er stand mitten im Publikum und hat mit allen geredet und war sehr freundlich. Dann habe ich die Vorstellung gesehen, und sie war gut. Ich war damals noch nicht so auf Boulevard eingestellt, ich musste mich erst daran gewöhnen.“ Rüegg schrieb dann Breitner einen Brief – und bekam im Dezember einen Termin. Das Vorsprechen fand in Jakob Guggenheims Wohnung statt, der Breitners rechte Hand war. Ein Tisch, vier Stühle, das war die Situation. Rüegg rückte den Tisch auf die Seite, um für das Vorsprechen Platz zu haben. „Was machen Sie da?“, sagte Breitner, „das ist dem Guggi seine Wohnung, da kann man nicht einfach so das Zeugs herumschieben.“ Rüegg trug dann hinter dem Tisch den langen Monolog aus Curt Goetz’ „Dr. med. Hiob Prätorius“ vor. „Sehr schön“, sagte Breitner, „aber ich glaube, Curt Goetz ist nicht so ihr Fach.“ Dann sprach Rüegg noch den Karl aus Friedrich Hebbels Drama „Maria Magdalena“ – und zwar die Stelle mit dem „Wüsst’ ich das Rattenloch unter der Türschwelle nicht“. Das gefiel Breitner schon viel besser.

Er engagierte Rüegg als Regieassistent, Inspizient, Requisiteur und Schauspieler für das Stadtheater Chur. Der Umgang mit den Tonbändern gehörte dazu, was Rüegg aber am Anfang überhaupt nicht konnte („Wir – die junge Schauspielerin Verena Leimbacher und Günter Rainer und ich – sassen stundenlang vor den Geräten und wussten nicht, wie man die Aufnahmen von der einen Kiste auf die andere überspielt“). Trotzdem wurde Rüegg dann in der gleichen Position ans SommerTheater berufen. Mit dem alten VW fuhr er nach Winterthur, und es gefiel ihm gut. Gleich in der ersten Saison bekam er eine recht grosse Rolle. Er spielte den jugendlichen Liebhaber Bille in Axel von Ambessers Kursus in drei Akten „Wie führe ich eine Ehe?“. „Ich weiss schon nicht mehr, wie das war, aber Walti Lutz sagt noch heute, das sei meine beste Rolle gewesen“. Jedenfalls: Markus Breitner sagte: „Ich kann Sie brauchen“, und engagierte ihn für die folgende Saison. Von nun an hielt sich Rüegg, der in Memmingen und auch am Städtebundtheater Solothurn engagiert war, den Sommer für Winterthur frei – „ohne viel zu überlegen“.
 
Schon bald kam es mit Markus Breitner zu einer engeren Zusammenarbeit. Im dritten Jahr, das SommerTheater war gerade abgebrannt, rief Breitner an einem Freitagnachmittag in Solothurn an: „Herr Rüegg, ich brauche in Winterthur einen Nachfolger.“ Rüegg: „Und warum rufen Sie mich an?“ Breitner: „Ja, ich habe an sie gedacht.“ Rüegg: „Was soll ich da sagen?“ Breitner: „Sie müssen gar nichts sagen, Sie kommen im nächsten Sommer, und die Sache ist erledigt.“ Das waren schon die ganzen Verhandlungen. Im Vertrag stand dann: „Mitarbeiter der Direktion“. Damit meinte er: „Aufpassen, zuhören, zuschauen – und für die Verwaltung müssen Sie den Guggi fragen.“ Das hiess für Hans Heinrich Rüegg: Er musste alles machen. Das war ungeheuer spannend – und eine eigentliche Theaterlehre in allen Belangen. Breitner unterrichtete ihn genau, er war ein grosser Geschichtenerzähler. Um halb zehn kam er ins Büro und erzählte über das Theater, über Schauspieler, über viele andere Sachen mehr. Um zwölf ging er dann essen und sagte: „Du musst ja auch noch arbeiten.“ Breitner führte Rüegg auch ins Handwerk der Regie ein, es war wie eine Rückkehr zu den Anfängen. Als 15-jähriger hatte Rüegg schon ein Stück aufgeführt: Autor, Regisseur, Hauptfigur, er war alles in einer Person gewesen. Und die Buchhaltung hatte er damals auch gemacht. Wie jetzt.
 
Markus Breitner wollte am SommerTheater bis zum 80. Lebensjahr bleiben. Und bei einem Kaffee 1981 sagte er zu Rüegg: „So, das nächste Jahr bist du dann dran, jetzt weisst du es offiziell. Weisst, ich habe das Gefühl, dass du in meinem Sinn arbeitest. Wahrscheinlich wirst du das SommerTheater auch weiter entwickeln. Aber versprich mir: Mach 51 Jahre.“ Rüegg stand auf, gab Breitner die Hand und sagte: „Wenn ich gesund bleibe und die Lust nicht verliere, bleib ich.“ Das war die Übergabe vom SommerTheater.
 
Breitner hat vorgemacht, wie man ein Theater führt. „Ich mache Theater, damit die Menschen richtig Freude haben“,
sagt Rüegg. Und das Schönste sei, wenn sie nach der Vorstellung sagen: „Wir kommen das nächste Jahr wieder.
Wir freuen uns schon.“
 
Die Menschen kommen jetzt auch für neue Stücke. Das SommerTheater kann ja nicht nur Uralt-Schwänke von Arnold / Bach aufführen, so sehr auch das ältere Publikum auf solche Stücke fixiert war. Allerdings tauchen diese Stücke wieder in den Spielplänen auf (z.B. Volksbühne Berlin). Hans Heinrich Rüegg hat den Rahmen sehr erweitert: mit musikalischen Lustspielen wie „I do I do“ „Das weisse Rössl“, mit den Gartenkonzerten, auch mit Autoren wie Ray Cooney („Lügen haben junge Beine“) oder Dave Freemann („Ein Bett voller Gäste“). Am Anfang waren auch Dürrenmatt, Molière, Oscar Wilde im Programm. Der klassische Boulevard hat sich aber durchgesetzt (amerikanische, englische und französische Autoren),
auch mit den aktuellen Komödien von René Heinersdorff („Sei lieb zu meiner Frau“).
 
„Wenn ich die Stücke in Berlin, Hamburg, Köln oder Düsseldorf sehe, weiss ich, ob sie am SommerTheater gehen“, sagt Rüegg. Er gehe ja schon wahnsinnig gern ins Theater, „es ist eine Freude zu sehen, wie die anderen das machen.“
Und: „Die kochen ja auch nur mit Wasser.“

Aber es gibt Unterschiede. Über gewisse Grenzen hinaus geht das SommerTheater nicht. Winterthur sei noch nicht ganz so aufgeschlossen wie Berlin, Hamburg, Düsseldorf, sagt Rüegg.

Das Publikum will im Stück mit drin sein. Und immer im Garten sein. So geht Boulevard in Winterthur. Als Rüegg ans SommerTheater kam, waren noch drei Bäume mehr im Strauss-Garten. Der Abzählvers geht so. Der erste Baum ist noch zu Breitners Zeiten gefallen, „der störte einfach und war am falschen Ort“. Der zweite wuchs nicht richtig und störte natürlich auch. Der dritte war der schwierigste Baum, denn er war schon mächtig gross. Um diesen Baum herum ein Zelt aufzubauen, war einfach unmöglich – der Baum kam dann weg, weil durch den Brand im Jahr 73 sehr beschädigt. Das eröffnete dem SommerTheater das Terrain für die Zukunft.
 
Mit dem Zelt über dem Garten ist alles intimer geworden, die abgeschlossene Situation erlaubt, Stücke zu spielen, die man sonst draussen nicht spielen könnte. „Wir waren nie ein klassisches Freilichttheater gewesen“, sagt Rüegg, „denn bei der kleinsten Wolke waren wir schon oben im Saal.“ Die Idee mit dem Dach hat dann schon viel gebracht. Das Dach war eine Art Lebensrettung. Ohne das Zelt hätten im Sommer 14, der kein Sommer war, 60 Prozent der Vorstellungen im Saal gespielt werden müssen. Das Publikum will aber nicht in den Saal gehen. Die Menschen im Garten skandieren dann: „dussebliibe, dussebliibe“, auch wenn die Verhältnisse sehr garstig sind. Aus künstlerischen Gründen lässt sich Rüegg auf keine Diskussionen ein. Auch wenn er manchmal dafür büssen musste, siehe Regenschirm und so.
 
Hans Heinrich Rüegg sagt, es seien Ideen da für seine Nachfolge. Aber die behält er für sich. Er weiss, dass es eine Figur, die genau so funktioniert wie er, nicht gibt. „Wenn ich den finde, der am Abend auch das Laub zusammenwischt, dann habe ich vielleicht den richtigen.“ Aber so einfach ist es nicht.
 
Als erste Aufgabe in der neuen Saison putzt Rüegg selber die Garderoben der Schauspieler. Er möchte, dass sie sich wohlfühlen und einen schönen Platz haben. „Das ist meine Aufgabe, und die lasse ich mir nicht nehmen.“

Und seine Frau, Verena Leimbacher, Stellvertreterin von Rüegg, sorgt sich auch um die gesamte Kostüm-Ausstattung.
Und spielt pro Saison 1–2 Rollen.
Die Schauspielerinnen und Schauspieler sollen es im SommerTheater gut haben. So soll es auch bleiben. Natürlich wird sich das SommerTheater in Zukunft verändern, dies aber innerhalb des Rahmens des klassischen und auch modernen Boulevards. Rüegg meint: „Das Theater ist immer Gegenwart, ob Shakespeare, Grillparzer oder Heinersdorff“. Auch am Grundwesen des Menschen hat sich durch die Zeit wenig geändert. „Mann und Frau sind immernoch Frau und Mann.“
Nur die alten Komödianten, die immer auch etwas von einem Clown hatten, gibt es nicht mehr. Oder nur noch wenige.
Und das komödiantische Fünkchen, das die heutigen Schauspielerinnen und Schauspieler noch haben, versucht Rüegg zu fördern, so gut es geht. Was er gar nicht mag, sind falsche Töne. Die Schauspielerinnen und Schauspieler dürfen sich im SommerTheater nichts erlauben: keine Eitelkeiten, auch keine Patzigkeit. „Ich habe einen Lautsprecher im Büro. Und wenn ich während der Vorstellungen falsche Dinge höre, bin ich schon hinter der Bühne.“ Rüegg sagt immer: „Wenn wir ein Lustspiel spielen, spielen wir Shakespeare. Es geht um so vieles.“
 
Es geht um das Theater. Hans Heinrich Rüegg besitzt einen Zaubermantel mit ganz vielen Sternen drauf, er hat ihn von Claus Peymann, dem grossen deutschen Regisseur, erworben. Und Rüegg, der Prinzipal der Komödianten, sagt zum Abschluss des Gesprächs: „Das Boulevardtheater, wie das SommerTheater eines ist, wird sich immer halten. Aber es muss gut gemacht sein. Es müssen gute Leute auf der Bühne stehen. Einfach so theäterlen, das geht nicht. Es gibt ja nichts Schwierigeres als das Leichte.“